Wadern

 

Stellt man sich die Umrisse des Kreises Merzig-Wadern als Fledermaus mit ausgebreiteten Flügeln vor, bildet Wadern mit seinen vierzehn Stadtteilen die östlichste Spitze des linken Flügels. Seit der saarländischen Gebiets- und Verwaltungsreform 1974, durch die es um 24 Dörfer erweitert wurde, ist Wadern mit knapp über 111 Quadratkilometern die drittgrößte Stadt des Saarlandes. Ihre 14 Stadtteile sind, außer Wadern selbst, Bardenbach, Büschfeld, Dagstuhl, Gehweiler, Krettnich, Lockweiler, Löstertal, Morscholz, Noswendel, Nunkirchen, Steinberg, Wadrill und Wedern. 1765 erhielt Kern-Wadern das Marktrecht, Groß-Wadern die Stadtrechte aber erst 1978.

Nach der Saarland-Statistik hatte die Stadt am 31. Dezember 2017 knapp über 16 000 EinwohnerInnen, rund 144 pro Quadratkilometer. Im Vergleich zu den beiden “Metropolen”, auf die sie sich orientiert, Trier und Saarbrücken, ist das Gepräge der am Fuße und an den Hängen des Schwarzwälder Hochwaldes sich ausbreitenden Großgemeinde aber nicht urban, sondern kleinstädtisch und ländlich. Neben Wadern als Zentrum von Verwaltung, Schule, Handel und Gewerbe sind in den Stadtteilen Büschfeld und Lockweiler Industriebetriebe ansässig. Mehr als achtzig Prozent der Grundfläche Waderns werden von Land- und Forstwirtschaft genutzt. Der Wald um und in Wadern gehört zu den tiefsten und dunkelsten im ganzen Saarland. Geologisch hat Wadern einer vor dreihundert bis zweihundertfünfzig Millionen Jahren gewachsenen Formation der Gesteinsschicht “Rotliegend” im Saar-Nahe-Becken seinen Namen gegeben. Im „Waderner Rotliegenden“ sind die Ackerböden nicht braun, sondern rot.

Hügelgräber aus der keltischen Eisenzeit im 4./5. Jahrhundert v. Chr. im Stadtteil Gehweiler und vor allem die aufwändig restaurierten gallo-römischen Grabhügel aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. in Oberlöstern zeugen von einer frühen Besiedlung auf hohem kulturellem Niveau. Später haben auch die Franken hier ihre Spuren hinterlassen.

Die ersten Waderner im Mittelalter waren wohl zwölf Stockbauern, frei gelassene Leibeigene der Herren von Dagstuhl. (Mit „Stock“ bezeichnete man ein variables Flächenmaß, nach dem Ackerboden an leibeigene Bauern vergeben wurde). Später gehörte der Marktflecken zum Kurfürstentum Trier. Zum Saarland kam die Gemeinde erst 1946, nach dem Zweiten Weltkrieg. Zunächst ein Teil des Landkreises Merzig im preußischen Regierungsbezirk Trier, wurde es nach dem Ersten Weltkrieg durch die Schaffung des Saargebietes vom Landkreis Merzig abgetrennt und blieb als „Restkreis Wadern“ im Deutschen Reich, während der Stammkreis Merzig dem vom Völkerbund regierten neu gebildeten Saargebiet zufiel. So kam es, dass 1933 in Wadern die Nazi-Herrschaft zwei Jahre früher begann als im 1935 rückgegliederten Saarland. Der Erinnerung an die Menschen im Kreis Wadern, die sich dem Nazi-Regime entgegenstellten und dafür teils mit dem Leben bezahlen mußten, hat das Stadtmuseum einen eigenen Raum gewidmet. Es waren Bergleute, Schullehrer und katholische Priester. Die meisten – immerhin drei von sechs – stammten aus dem heutigen Stadtteil Lockweiler-Krettnich: die Kommunisten Peter Kasper (1909-1937), Josef Wagner (1897-1943) und Hanns Wecker (1894-1980).

Dass sein Gebiet vier Schlösser und eine Burg beheimatet, kann nicht jeder Marktflecken von sich behaupten. Wadern, die einstmals „Kleine Residenz“ des aus dem Nördlinger Ries zugewanderten schwäbischen Adelsgeschlechtes von Öttingen-Baldern und zu Sötern, kann es. In das ehemalige Stadtschloss ist das Rathaus gebaut worden; im Öttinger Schlösschen hat sich das Stadtmuseum eingerichtet und pflegt besonders die Erinnerung an die „Maler-Gräfin“ Octavie de Lasalle von Louisenthal. Auf Schloss Dagstuhl im gleichnamigen Waderner Stadtteil, zu Füßen der gleichnamigen Burgruine, residiert heute das Leibniz-Zentrum für Informatik. Auf Schloss Münchweiler im Waderner Stadtteil Nunkirchen, heute teilweise Hotel und Café, wohnen noch immer Nachfahren des Erbauers und Eisenverhütters aus „kurtrierischem Uradel“, Reichsfreiherr Franz Georg Zandt von Merl (1723-1785).

Literarisch treten Wadern und seine Stadtteile unterschiedlich in Erscheinung. Die Kernstadt selbst mit ihrer Stadtbibliothek und der Buchhandlung “Bücherhütte”. Hier bietet Beatrice Schmitt regelmäßig SchriftstellerInnen der Region ein Forum zur Vorstellung ihrer Werke. Das Kulturamt der Stadt lässt gemeinsam mit ihr im Rahmen der Buchwoche auch junge und ganz junge Autoren und Autorinnen in Erscheinung treten; die preisgekrönten Arbeiten werden gedruckt. Im Stadtteil Niederlöstern restauriert die Autorin Karin Klee (geb. 1961), die in der Waderner Stadtbücherei ihr täglich Brot verdient, seit Jahren mit ihrem Mann ein altes Bauernhaus. Im Stadtteil Nunkirchen lebt zurückgezogen vom Literaturbetrieb Walter Wolter, dessen Krimiheld Bruno Schmidt sich schon lange in den Sonnenuntergang verabschiedet hat.

Der im damals noch selbständigen Dorf Biel-Bardenbach geborene Matthias Lang findet als Lehrer in der Eifel aus Heimweh zur Mundart seines Dorfes, tritt von da an mit zahlreichen Mundartveröffentlichungen hervor, gründet 1950 in Biel eine Theatergruppe und veranstaltet zusammen mit Maria Croon Dichter- und Heimatabende.

Das Gedächtnis der Stadt und der Dörfer frischen immer wieder VolkskundlerInnen und HeimatforscherInnen auf, allen voran Friedrich Ebert und die AutorInnen des Vereins für Heimatkunde mit seinen jährlichen „Mitteilungen“. Berthold Müller, ehemaliger Bürgermeister von Wadern, spürt Familiengeschichte(n) nach und wartet mit überraschenden Erkenntnissen in der Mundartforschung auf, beispielsweise der Entdeckung von Gemeinsamkeiten des Moselfränkischen mit dem Englischen. Die entdeckte womöglich schon mehr als ein Jahrhundert zuvor bei eigener Anwendung Peter Imandt (1823-1897). Der in Noswendel geborene Revolutionär, Philologe, politische Journalist und Lehrer, Mitstreiter von Karl Marx und Friedrich Engels, lebte und arbeitete als Exilant in Schottland, wo er sich auch in die englische Sprache hineinfinden musste.
Hochwald-Heimatgeschichte verarbeitete in seinen Romanen und volkskundlichen Texten Claus (Nikolaus) Schmauch (1898-1979). Geboren in Biel-Bardenbach, heute Stadtteil von Wadern, wurde er zum Schriftsteller jedoch erst in Hülzweiler, heute Ortsteil von Schwalbach (Kreis Saarlouis), und in Saarbrücken. In Wadern geboren ist die schon im Alter von 52 Jahren verstorbene Liedermacherin Stefanie Finkler, die in ihren Texten einen Mix aus Rhein- und Moselfränkisch pflegte, den sie augenzwinkernd zum „richtigen Saarländisch“ erklärte.

Auf dem Friedhof der Stadt Wadern schließlich hat ein Mann des Theaters, besonders der großen Oper, und ein Protagonist des künstlerischen Austausches zwischen Ost und West sein Grab bekommen: Hermann Wedekind, Regisseur und langjähriger Generalintendant des Saarländischen Staatstheaters in Saarbrücken. Er verbrachte seine letzten Lebensjahre im Waderner Stadtteil Wedern.

Denkmalschutz genießt in Wadern und Dagstuhl inzwischen das Ensemble „Ausweichsitz der Saarländischen Landesregierung“ aus den Jahren 1962-1963.