Das Saarland – literarisch

Fred Oberhauser, Saarländer, Pionier der Literarischen Topographie, hat den Anstoß zu diesem Projekt gegeben. Literarische Topographie bedeutet, Beziehungen herzustellen zwischen dem, was Schriftsteller schreiben, und dem Ort, an dem oder über den sie schreiben. Wer sich mit diesen Beziehungen beschäftigt, hat mehr von beiden, von der Literatur und vom Ort. Fred Oberhauser hat literarische Führer geschrieben für die Bundesrepublik, dann für das wiedervereinigte Deutschland, für Berlin und für Schwarzwald und Oberrhein. Dass es auch einen literarischen Führer fürs Saarland geben soll, ist sein Vermächtnis.

Das Saarland ist ja ein Land, das lange um seine Identität gerungen hat. Als politisches Gebilde ist es sehr jung, erst 1920 entstanden. Sein Zuschnitt folgte wirtschaftlichen Interessen, einen Volksstamm der Saarländer oder die Mundart des Saarländischen gibt es nicht. Immer wieder ist das Gebiet zwischen Deutschland und Frankreich hin- und her gewechselt. Zweimal, 1935 und 1955, konnten die Saarländer frei über ihre nationale Zugehörigkeit entscheiden, beide Male haben sie für Deutschland votiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sie für ein paar Jahre einen eigenen, von Frankreich dominierten halbwegs souveränen Staat gebildet, mit eigener Währung, eigenen Briefmarken, eigener Olympia-Mannschaft. Danach war man im „Reich“, wie sie hierzulande die Bundesrepublik noch nannten, überrascht, dass die Saarländer überhaupt Deutsch sprachen.

Trotz oder gerade wegen aller inneren Probleme und äußerer Vorbehalte haben die Saarländer nach und nach begonnen, eine eigene Identität zu entwickeln. Ja, Saarländer der Generation nach dem Zweiten Weltkrieg empfanden sich zunächst als Saarländer, dann als Europäer und erst in dritter Linie als Deutsche – Regionalbewusstsein als Überwindung des Nationalismus.

Für ein Land mit so vielen Ungewissheiten ist die Widerspiegelung in der Literatur besonders wichtig. Wie sehen uns andere? Wie sehen wir uns selber? Werden wir überhaupt wahrgenommen?

Leute, die über literarische Landschaften schrieben, behaupteten früher, über das Land an der Saar gebe es in dieser Beziehung so gut wie nichts zu sagen. Ein großer Irrtum. Hierzulande wurden Meilensteine der Literaturgeschichte gesetzt. Eine Gräfin in Saarbrücken, Elisabeth von Lothringen, ist die Schöpferin des deutschen Prosaromans. Der Barockdichter Theobald Hock hat in einer Zeit, in der Neulatein immer noch die dominante Sprache der Gelehrten war, den ersten deutschsprachigen Band mit eigenen Gedichten veröffentlicht. Nur wenige Schriftsteller haben sich so in die Politik eingemischt und darüber so glänzend geschrieben wie Gustav Regler. In unseren Tagen hat Johannes Kühn gezeigt, dass man ein Heimatdichter und dennoch auf der Höhe der Zeit sein kann. Ludwig Harig hat Romane vorgelegt, die ganz neu vom Krieg und von Verstrickungen im Dritten Reich erzählten.

Und dann natürlich die großen Durchreisenden, die ihre Beschreibungen des Landes hinterlassen haben: Goethe, Knigge, Fontane, Hesse, Döblin, Koeppen. Und auch Autoren ohne große Namen haben wichtige Texte über dieses Land geschrieben.

Die Beziehungen zwischen einem Stück Literatur und einem Ort können sehr verschieden sein. Manchmal werden der Ort, die Gegend, bloß beschrieben. Ein andermal wird, was von einem konkreten Ort zu handeln scheint, zum Muster für eine ganze Welt. Für den, der diese Bezüge erkennt, ist Literatur nichts Entrücktes mehr, sondern wird greifbar. Und daraus entsteht vieles andere: von der einfachen Freude über die Erwähnung des eigenen Wohnorts über die Verwandlung des Blicks auf die umgebende Welt bis zu tiefgründigen Überlegungen zum Verhältnis von Dichtung und Wirklichkeit. Niemand konnte das begeisterter zum Ausdruck bringen als Fred Oberhauser.

Nach Abschluss des über 1.400 Seiten starken „Literarischen Führers Deutschland“ wurde Fred Oberhauser klar, dass das nächste Werk dieser Art kein Buch mehr sein würde, sondern ein Internetportal. Bis zu seinem Tod im Februar 2016 hat er noch an der Entstehung von Literaturland Saar mitgewirkt.

Als Online-Portal wird dieser literarische Führer überall verfügbar sein. Und da die Arbeit daran im Prinzip unabschließbar ist, bleibt es ein „work in progress“, das mit Hilfe seiner Nutzer ständig fortentwickelt und erweitert werden wird.

In dem Jahr, in dem wir online gehen, feiert das Saarland sein 60jähriges Jubiläum als Land der Bundesrepublik Deutschland. Literaturland Saar ist unser Geschenk ans Saarland.